In diesem Buch, das in eine Reihe mit 'Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran' und Oskar und die Dame in Rosa gehört, wird eine Geschichte aus der Zeit gegen Ende des zweiten Weltkrieges erzählt. Ein jüdischer Junge wird von seinen Eltern getrennt und von guten Menschen in einer Schule eines Pfarrers versteckt. Schreckliche Geschichte wird dargestellt, realistisch - aber eben aus der Perspektive eines weniger als 10-Jahre alten Jungen, der in diese Umgebung hineingesetzt ist, und wodurch es dann durchaus auch viele Stellen gibt, die einen beim Lesen zum Schmunzeln bringen.
Wiederum werden aber viele tiefe Gedanken rund um Gott und Religionen, um Toleranz erörtert in dieser Geschichte, in der einfachen und direkten Sprache eines kleinen Jungens.
Einige Zitate, die mir wichtig sind: Der kleine Joseph zum ersten Mal in einer christlichen Kirche - ich kenne dieses Gefühl, das Musik in einer Kirche bereiten kann:
Und da begannen auch schon die Mauern zu vibrieren, und die Vibrationen wurden Musik: die Orgel hatte eingesetzt. Die hohen Töne kitzelten mich in den Ohren. Die tiefen kribbelten mich am Hintern. Ein gewaltiges melodische Brausen breitete sich aus.
Und sofort verstand ich: Gott war da. Um uns. Unter uns. Dieser Taumel, dieser Gesang, dieser Widerhall unter den Gewölben, diese Musik, die sich unter der Kuppel rundete, das war Er. Er war die Luft, die sich über die Farben der Glasfenster legte, die Luft, die stralte, die Luft, die schillerte, die Luft, die nach Myrrhe duftete, nach Bienenwachs und süss nach Lilien.
"Glauben Sie etwa nicht, dass wenn man fromm ist, ein guter Jude oder ein guter Christ, dass einem da nichts passieren kann?"
"Woher hast du denn diesen dummen Gedanken?"
"Aus dem Religionsunterricht. Pater Bonifazius ..."
"Halt! Das ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich! Die Menschen sind nicht gut zueinander, aber damit hat Gott nichts zu tun. Er hat die Menschen als frei erschaffen. Also leiden und lachen wir unabhängig von unseren Qualitäten oder unseren Fehlern. Was für eine furchtbare Rolle willst du Gott denn da zuschreiben? Glaubst du auch nur eine Sekunde lang, dass Gott den liebt, der den Nazis entkommt, und den, den sie fangen, verachtet? Gott mischt sich nicht in unsere Angelegenheiten."
"Wollen Sie damit sagen, dass Gott egal ist, was passiert?"
"Ich will damit sagen, dass Gott, gleich was passiert, seine Aufgabe erfüllt hat. Jetzt ist die Reihe an uns. Wir, und nur wir allein sind verantwortlich für uns."
"... Ja, ich bin Christi nicht würdig. Mein ganzes Leben reicht nicht aus, um es ihm gleichzutun ... Aber kann Liebe eine Pflicht sein? Kann man seinem Herzen befehlen? Ich glaube nicht. Den grossen Rabbinern zufolge steht die Achtung über der Liebe. Sie ist eine fortgesetzte Pflicht. Das scheint mir möglich. Ich kann achten, wen ich nicht liebe und wer mir gleichgültig ist. Aber lieben? Muss ich denn unbedingt lieben, wen ich achte? Das ist schwierig, man kann Liebe weder fordern noch kontrollieren oder zur Dauer verpflichten. Wohingegen die Achtung ..."
Er kratzte sich am Schädel.
"Ich frage mich, ob wir Christen nicht vielleicht nur sentimentale Juden sind ..."
Nie mehr, nicht als frommer, und auch später nicht, als gleichgültiger Jude, habe ich den Gott meiner Kindheit auf dem Land wiedergefunden, den Gott, den ich in der kleinen Kirche mit den magischen Glasfenstern gespürt habe, mit den Girlanden tragenden Engeln und der dröhnenden Orgel, diesen wohlwollenden Gott, der über den Liliensträussen schwebte, den sanften Kerzenflammen, dem Duft gewachsten Holzes, und der seinen Blick gleichermassen auf den versteckten Kinder und den Dorfbewohnern, ihren Helfershelfern, ruhen liess.