Obwohl so bekannt, bin ich immer vor diesem Buch zurückgeschreckt - jetzt höre ich es als Hörbuch, sehr lebhaft gelesen von Gert Westphal (der, kleine Nebenbemerkung, übrigens in Kilchberg direkt schräg neben Thomas Mann beerdigt ist).
Die Zeit ist eine stumme Schwester.
Denkt sich Hans Castorp im Traum - dabei ist eine stumme Schwester ein Thermometer ohne Skala, das die Ärzte manchmal verwenden, damit die Patienten nicht schwindeln bei ihren Eintragungen ...
Überhaupt ist die Zeit ein sehr wichtiges Thema, die Beschreibung wie unterschiedlich Zeit vergehen kann, der beinahe zeitlose Zustand auf dem Zauberberg, viele Gedanken umkreisen das Thema.
Die Zeit hat in Wirklichkeit keine Einteilungen.
Die Beschreibung, wie aus dem Besucher ein Patient wird, ist sehr gut - wie aus dem etwas überheblichen 'das betrifft mich nicht' schliesslich doch einer von 'dort oben' wird. Angelegt ist es schon gleich zu Beginn, aber erst gegen Ende seiner Besuchszeit wird es medizinisch klar. Und auf gewisse Weise wünscht Hans Castorp es sich auch, auf gewisse Weise freut er sich krank zu sein, dort oben bleiben zu können, vom Tagesgeschäft dort unten entfernt - und das nicht nur wegen Clawdia Chauchat. Schon gleich zu Anfang gibt es ihm einen gewissen Stich, dass er bei den täglichen Arztbesuchen umgangen wird, Krankheit hat für ihn etwas marodes, aber auch edles (und er lässt sich hier von Herrn Settembrini nicht wirklich überzeugen, dass Krankheit etwas dummes ist, etwas, das den Menschen ganz auf den Körper reduziert, damit von seiner höheren Bestimmung ablenkt). Und doch, als seine Krankheit einmal feststeht, ist er auf gewisse Weise erleichtert - nachdem er den Brief an seine Familie 'dort unten' geschrieben hat, empfindet er sogar Freiheit, obwohl er es nicht so ausspricht oder denkt, wie Thomas Mann sagt.
Wie so oft in Büchern, so kann ich mich in einigem davon wiederfinden. Andernorts sagt Thomas Mann auch: "Wir finden in Büchern immer nur uns selbst. Komisch, daß dann allemal die Freude groß ist und wir den Autor für ein Genie erklären."
Natürlich spielt auch der Tod eine zunehmend wichtigere Rolle. Ich finde die Beschreibung seiner ersten Durchleuchtung in dieser Hinsicht sehr gut - das Sehen des eigenen Skelettes. Er kann das Herz seines Vetters schlagen sehen, kann seine eigene Hand durchleuchtet sehen. Und es heisst dort
... er sah in sein eigenes Grab. Das spätere Geschäft der Verwesung sah er vorweggenommen durch die Kraft des Lichtes.
... zum erstenmal in seinem Leben verstand er, dass er sterben werde.
Aber auch das Thema Liebe ist prominent - die Gefühle, die verborgenen, die lächerlichen, die Interpretation jeder Gebärde der Geliebten sind so meisterhaft beschrieben!
Eine andere Stelle, die mich berührt hat, ist Hans Castorps Traum, den er bei seiner Lieblingsmusik träumt - das Liegen auf einer sonnendurchströmten Blumenwiese mit einem kleinen Blasinstrument, völlig unbelastet von allen Vorhaltungen und Zwängen, völlig frei.
Gert Westphal liest diese Buch einfach grandios - seine Stimmbewegungen, das Andeuten der Akzente, manchmal das Anklingen eines Liedes, zeigen wie bemerkenswert Vorlesen sein kann!