Beziehungen, Ehen, Liebhaber, Beziehungen zu und zwischen Kindern, aus der inneren Sicht von Ellen (der Mutter), Sylvi (der Tochter) und Sylvio (dem Vater) geschrieben - im Verlauf der Geschehnisse eines Nachmittags. Viel wird gedacht an diesem Nachmittag, aber einiges geschieht auch.
Mich fasziniert, wie zumeist an Walser, wie er die Gefühle beschreibt, die banalen, die interessanten, aber auch die, die man niemanden sonst anvertrauen würde, weil man sich ihrer schämen müsste (oder dies zumindest glaubt) - und in denen man sich wiedererkennt.
Ernest erzählte ununterbrochen von sich, aber Ellen glaubte, Ernest verfahre dabei immer noch taktisch. Selbst wenn es schien, als liefere er sich ganz aus, befürchtete sie, er wolle jetzt nur den Eindruck produzieren, er liefere sich ganz aus, um dadurch sie zu einer entsprechenden Auslieferung zu provozieren.
Jeder Mensch ist der glücklichste und der unglücklichste, den es gibt.
Je radikaler einer im Niedermachen anderer vorgeht, desto beliebter macht er sich. Warum haben diese Niedermacher nichts gegen sich selbst? Das verstand Ellen nicht. ... Das Ausdrucksgewerbe lebt vom Verächtlichfinden anderer. Was Verklärungs- und Niedermachungsindustrie produzieren, heisst öffentliche Meinung, wirkt wie Politik, ist aber Unterhaltung. Ellen konnte sich dafür nicht interessieren. Was sich da stritt, kam ihr so gleich vor. Ununterscheidbar.
Sylvio stimmte nicht überein mit sich. Es gab ihn doch überhaupt nicht. Er war nichts als ein Potpourri verschiedener Rollen. Ihm war es offenbar gleichgültig, dass Ellen sein Theater durchschaute. Sie hatte mitzuspielen. Das Leben ist ein Western. Das war sein Satz, sein Credo. Damit lief er herum, spielte den Edlen, den Gemeinen, wie er es gerade brauchte. Und jammerte, dass diese Welt ihm nicht gestatte, er selbst zu sein. Offenbar hatte er noch die Illusion, es gebe ihn jenseits seines Theaters.
Das war Sylvios liebste Beschäftigung: etwas in Gedanken so verlaufen zu lassen, wie es in Wirklichkeit nie verlief. Alles befriedigender verlaufen zu lassen, dazu schrieb er die Wirklichkeit um. Er ertrug Wirklichkeit überhaupt nur noch, wenn er sie schreibend beantwortet hatte. Nicht, dass diese Welt nicht schön wäre, sie ist nur unerträglich. Man musste sie, um sie erträglich zu machen, zwingen, einen weissen Schatten zu werfen. Das ging, wenn überhaupt, nur schriftlich.
Wennn man etwas oder jemanden heruntermacht, fühlt man sich deutlicher, als wenn man nichts und niemanden heruntermacht. Und um dieses Deutlichkeitsgewinns willen, der einem gut tut, macht man andere herunter.
Er hatte, so weit er zurückdenken konnte, immer über das hinausgelebt, was gerade sein Leben war.
Das Gute an den gewöhnlichen Entsetzlichkeiten dieser Welt ist, dass sie gegen einander konkurrieren. Jede will die entsetzlichste Entsetzlichkeit sein. Aber durch ihr Gegeneinander überfordern sie unsere Empfindungskraft so sehr, dass wir fast schon wieder ruhig zusehen können, wie sie sich um das Vorrecht, uns zu quälen, streiten.