Ein interessantes Buch, geschrieben von einem ehemaligen katholischen Priester, der geheiratet hat, damit aus der katholischen Kirche ausgeschlossen wurde, dann als reformierter Pfarrer und Religionslehrer arbeitete, und sich heute als Agnostiker bekennt.
Es ist spannend in seiner Mischung, der Erzählung seines Werdeganges, aus den Geschichten rund um seine Entwicklung weg vom klassischen katholischen Gottesglauben des Katechismus hin zu einem immer offeneren Verständnis, was Religion ist und was Gott vielleicht nicht ist. Auch seine Ansichten zum Lehren und zu dem, was wichtig ist für Jugendliche im Unterricht ist sehr interessant: er lässt den Jugendlichen viel Raum zur Diskussion und darin zum Selbst-Entdecken der Welt und ihrer eigenen Einstellung zu Religion und Welt.
Nachdem er sieht, dass Gott sehr gut und in der von der Kirche geprägten Form sehr wahrscheinlich ein Erzeugnis des Menschen ist, bekennt sich heute zu einer 'humanistischen Dreifaltigkeit':
Ich bin auf Erden, um neugierig zu entdecken, wer ich bin und wer ich werden kann; um liebevoll mich mit allem, was lebt, zu verbinden und um nie nachzulassen, dem Fremden, dem Gegner und gar dem Feind mit Respekt zu begegnen.
Total erstaunlich ist für mich auch, wie er vom Fussball spricht und ihn durchaus vernünftig als Religion darstellt (nicht nur als Ersatzreligion).
Andere Zitate:
Erziehung kann niemals neutral sein. Entweder ist sie ein Instrument zur Befreiung des Menschen oder sie ist ein Instrument seiner Domestizierung, seiner Abrichtung für die Unterdrückten. ...
Lernen ist nicht das Fressen fremden Wissens, sondern die Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation als Problem und die Lösung dieses Problems in Reflexion und Aktion. Lehren ist entsprechend nicht Programmieren, sondern Problematisieren, nicht das Abkündigen von Antworten, sondern das Aufwerfen von Fragen, nicht Einnistung des Erziehers im Zögling, sondern Provokation des Zöglings zur Selbstbestimmung.
(Zitierend Paulo Freire)
An seine (Jesu) Auferstehung in eine jenseitige Welt glaube ich nicht. Wenn Jesus mit dem Begriff 'Auferstehung' in Verbindung gebracht wird, dann will dieser Begriff das gesamte Lebenswerk Jesu zusammenfassen. Mit all seinen Kräften hat er sich bemüht, Menschen, welche das Schicksal zu Boden gedrückt hat, wieder aufzurichten, so dass sie buchstäblich aufstehen, erneut in ein menschenwürdiges Leben auferstehen konnten. Auferstehung also ganz gewiss - aber im Sinne eines Aufstehens gegen ungerechte Verhältnisse in der nahen und weiten Welt. Auferstehung im Hinblick auf eine solidarische Gesellschaft im Diesseits.
Wenn Affen sich in Gefahr wähnen und Sicherheit suchen, schwingen sie sich an Bäumen in die Höhe. Diese Fluchttendenz nach oben, wo sich ein gefahrloser Raum öffnet, sei fest im Verhalten des Menschen verankert und erkläre, warum er sich in Angst und Not 'nach oben' richtet. Vielleicht findet ja der bekannte Spruch 'Alles Gute kommt von oben' seinen Ursprung in diesen Zusammenhängen.
Wolf Biermann: Ich habe längst durchschaut, dass es vollkommen gleichgültig ist, woran ein Mensch glaubt. Wichtig ist, dass er überhaupt glaubt und dass dieser Glaube ihn dann befähigt, zu den Menschen zu gehen und sich als menschlicher Mensch zu verhalten. An seinen Taten soll man ihn erkennen, nicht an seinem Glaubensbekenntnis. Von mir aus kann einer an eine Kirschtorte glauben, wenn es ihn dazu bringt, die Wahrheit zu sagen, gerade wenn er einen hohen Preis dafür zahlen muss. So werde ich mit ihm doch nicht zu streiten anfangen, ob er an den richtigen Gott oder an etwas anderes glaubt.
Wenn Gott nur eine Täuschung ist, eine Illusion, dann sind alle Religionen, jede Kirche und ihre Gesetze und Lehren, jedes Denken und Handeln in seinem Auftrag sinnlos. Gibt es aber einen Gott, dann wissen immer noch weder ein Papst noch ein Imam noch ein Rabbi, wer dieser Gott ist und was er wirklich will, falls er denn - seinem Geschöpf, dem Menschen, ähnlich - als Person gedacht werden muss.
Dem Gedanken von Blaise Pascal, dass es in jedem Fall von Vorteil ist an Gott zu glauben - da man Gewinn hat, wenn es ihn gibt, und andernfalls man nichts verloren hat entgegnet er:
Ich simmte Blaise Pascal nicht zu. - Ein Mensch, der auf die Nichtexistenz Gottes setzt, kann nur verlieren, wenn er am Ende seines Lebens doch noch auf einen Gott trifft, der ihn aufgrund nicht erfüllter Anforderungen - etwa von der Kirche propagiert - gnadenlos abstraft. Wettet
jemand aber voller Hoffnung auf die Existenz Gottes und muss nach seinem Tod erkennen, dass da kein Gott ist, kann er sehr wohl sein ganzes Leben verwirkt haen, wenn er, vom Druck der vielen Gebote wie fremdgesteuert, nicht im Einklang mit sich selber zu leben vermochte.
Zum biblischen 'Ich bin der "Ich-bin"':
Es ist beeindruckend, wie beharrlich sich Gott weigert, sich mit einem konkreten Namen ansprechen zu lassen. Offenbar hat dies Methode. Gott will nicht, dass die Menschen ihn dogmatisch eingrenzen oder definieren. ... Die einzige Zusage Gottes an die Menschen ist sein Versprechen, da zu sein. ... Kein Mensch aber soll auf die Idee kommen, wissen zu wollen, wer dieser Gott ist. ... Agnostiker machen sich kein Bild von Gott, noch kennen und nennen sie irgendeinen Namen für ihn. Damit stehen sie - wenn auch ohne Absicht - dem Auftrag Gottes näher als so mancher fromme Christ.
Worin besteht der Unterschied zwischen tanzenden Derwischen, der Verzückung von christlichen Mystikerinnen, von Versammlungen der Pfingstmission, in Meditation versunkenen Buddha-Mönchen und einem kollektiven Freudentaumel der Fans an der Schweizer Fussballnationalmannschaft nach einem Tor von Traquillo Barnetta? Sowohl die Menschen im religiösen Freudentaumel als auch die jubelnden Massen auf den Rängen im Stadion geraten in Ekstase. Sie entgrenzen sich, überschreiten die Enge des Ichs, sind nicht mehr nüchterne, rationale Individuen. Fassballfans tauchen ein in die Brandung der La-Ola-Welle und verschmelzen im Kollektiv. Traditionelle Gläubige fallen in Verzückung und vereinigen sich mit Gott. In ihrem tranceähnlichen Zustand gehen sie alle auf in etwas Grösserem, das man Allah, Gott, Nirvana oder anders nennen kann. So genau ist nicht auszumachen, worin dieses Grössere im Fall des ausflippenden Fussballfans besteht. Kann man allen Ernstes von einem Fussballgott reden? Man kann es.
Die Frage, ob Fussball als Religion bezeichnet werden kann, setzt eine Klärung dessen voraus, was unter Religion verstanden wird. Genau dies aber ist nicht eindeutig möglich. Die Wissenschaft kennt keine objektive Definition von Religion. ... Allerdings herrscht grosse Übereinstimmung darüber, welche Wirkungen Religion entfalten kann.
Sie ist in der Lage, in tiefen Lebensschwierigkeiten zu trösten, Sinn und Orientierung zu stiften, in Ritualen die Freude am Leben zu feiern, Menschen untereinander zu verbinden. Allerdings aber auch zu fanatisieren, Meschen auf eine bestimmte Konfession zu fixieren, die Menschen sich selbst zu entfremden oder gar Formen von Gewalt zu rechtfertigen. All diese Funktionen sind keineswegs den traditionellen Religionen vorbehalten. Ohne Ausnahme kann der Fussball jede dieser Wirkungen ebenso erzielen.