Zu Anfang hat mir das Buch gefallen - aber schliesslich hat mich vieles eigentlich eher ärgerlich gemacht, es ist insgesamt chaotisch, voll von pseudo-kausalen Zusammenhängen und Erklärungen, und macht damit einen unausgegorenen Eindruck, der viel mehr auf Panikmache und Polemik angelegt ist als auf rationale und fundierte Überlegungen.
Das Buch enthält zwei verschiedene Grundaussagen: zum einen, dass wir Menschen für die gegenwärtige Informationsflut und das immer stärker werdende Multitasking im Prinzip nicht geeignet sind, zum anderen, dass Maschinen gewisse Dinge nie werden tun oder erreichen können, die Stärken ausschliesslich des Menschen darstellen und auf die wir uns daher zurückbesinnen sollten.
Der erste Themenkreis, der im ersten Teil stärker dargestellt wird, vermag mich zu überzeugen und daher fand ich das Buch anfänglich auch sehr spannend und gut. So wird dargestellt, dass man Multitasking nicht lernen kann und auch darin durch Üben nicht besser wird (im Gegensatz zu dem, was man manchmal über die ‘MTV-Generation’ hört).
Der zweite ist für mich einfach naiv - und viel zu kurz gegriffen. Es mag sein, dass es jetzt gut ist für uns Menschen uns auf unsere derzeitigen Stärken zu besinnen, aber zu denken, dass wir da in irgendeinem Sinn immer überlegen sein sollten, ist hoffnungslos naiv. Man erinnere sich nur, dass der Schachweltmeister, nachdem er zum ersten Mal von einem Computer in einem echten Turnier geschlagen wurde, gesagt hat, dass er dort ein in höchstem Masse kreatives Spiel gesehen hat … das ist erst der Anfang in meinen Augen.
Etwas mehr im Einzelnen:
S. 76ff: es wird dargestellt, dass wir immer weniger verstehen und uns immer mehr auf Empfehlungen/Beweise von Maschinen verlassen. In der Tat wird das sicher immer prononcierter, aber neu ist das ja nicht. Ich frage mich, wie viele Griechen wohl die Beweise von Pythagoras verstanden haben … Im Gegenteil ist die Neugier auf Verständnis heutzutage für einen Menschen viel einfacher zu befriedigen als je zuvor. Diese Vorteile werden aber nicht mit erwähnt.
S. 79: “Oder ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo Menschen ihren Führungsanspruch gegenüber den Computern anmelden sollten?” - Pur reisserisch formuliert … als ob es eine Rebellion der Maschinen ala Terminator geben würde. So weit sind wir nun ja wohl nicht - und spricht der Autor nicht im gesammten Buch diese Fähigkeit Maschinen sowieso generell ab?
S. 111: “G Dyson: Es könnte sein, dass es das eigentlich Schicksal unserer Spezies ist, dass wir eine Intelligenz aufbauen, die sehr erfolgreich ist, egal ob wir sie verstehen oder nicht.” Die Menschen sind das Ergebnis der Evolution - und ich glaube kaum, dass es heute noch viele gibt, die glauben mit dem Menschen als ‘Krone der Schöpfung’ sei die Evolution bei einem Endpunkt angelangt. D.h. es ist nur selbstverständlich, dass wir ‘Nachfolger’ haben werden, seien es nun “Über-Menschen” oder eben Maschinen (oder womöglich, für mich am wahrscheinlichsten, eine Kombination hieraus).
S. 113: auch die reisserisch formulierten Aussagen zum Thema ‘wer man selbst überhaupt (noch) ist’ lassen mich vor allem wundern, ob wir das je gewusst haben - das ist schliesslich eine grundsätzliche philosophische Frage seit Menschen denken können - mit oder ohne statistische Daten über uns. Im Grunde denke ich nur, dass wir so mehr über uns lernen - und immer schon haben Menschen andere Menschen sofort in Schubladen gepresst - die Schubladen werden eher immer ausgefeilter …
S. 125: “… hat herausgefunden, dass die gesamte Struktur des Internets … Machtgesetzen (‘power laws’) folgt”. Als ich das gelesen habe, hat sich mir alles umgedreht und ich habe begonnen, das Buch auch im Rückblick auf das schon gelesene, viel kritischer anzusehen. Der Begriff ‘power-law’ hat eine spezielle Bedeutung in der Mathematik und steht für ‘Potenzgesetze’, d.h. Funktionen wie x hoch 2, und im Englischen sagt man x to the power of 2 - daher ‘power law’. Es hat rein gar nichts mit der hier suggerierten Bedeutung von ‘Macht’ zu tun! Das ist extrem irreführend und eines seriösen Journalisten bzw. Autors vollkommen unwürdig - bzw. zeigt an, dass er das, was er hier zitiert, einfach nicht im originalen Kontext versteht. Und wie viel anderes ist dann wohl ebenso unseriös, was ich vielleicht nicht erkenne?
S. 152: hier wird eine Aussage von Jaron Lanier gebraucht als Argument - und nur über die Fussnote 119 am Ende des Buches darauf hingewiesen, dass dieser selbst dieses Argument später zurückgezogen hat … wie dann im Haupttext benutzen zusammen mit seinem Namen? Wiederum extrem unsauber in meinen Augen!
S. 177: das mit der umgekehrten Augentest-Tafel finde ich tatsächlich sehr bemerkenswert: das Neue und Unerwartete verändert unsere Sichtweise! Ist dann nur die Frage, ob wir heutzutage weniger neue Sichtweisen bekommen (wie der Autor bedeutet), oder nicht viel mehr durch unsere Technologien und Vernetztheit erst recht viel mehr Unerwartetes zu sehen bekommen (als ein Beispiel in meinen Augen: Google Earth)!
S. 179: Computer sind nur Werkzeuge und damit Verstärker - d.h. wenn wir wollen, dass sie mit ‘Unsicherheiten’ und ‘Uneindeutigkeiten’ umgehen können, können entsprechende Algorithmen auch dafür gemacht werden - und diese gibt es auch schon - leider wird das wiederum unter den Tisch gekehrt. Allerdings stimme ich völlig zu, dass die Grenzen unseres Wissens und die Schwierigkeiten und damit auch die Unsicherheit von wissenschaftlichen Ergebnissen (wie auch in Büchern und Zeitungen veröffentlichten ‘Tatsachen’) jedem Kind schon beigebracht werden müssten - das würde einem Buch wie Payback vermutlich nicht sehr gut tun.
S. 200: “Es wäre für die Politik ein Leichtes, mithilfe von Infomationskaskaden ein völlig verändertes Bild der Wirklichkeit zu schaffen.” Ja, man darf die Möglichkeiten zur Manipulation sicher nicht unterschätzen - aber man darf auch nicht die neuen Möglichkeiten unter den Tisch kehren, die mittlerweile etwa Bilder von schlägernden Polizisten über Handys und Internet im Prinzip ununterdrückbar machen und freie Meinungsäusserung im grossen Stil möglich machen - wie nie zuvor je! Diktatur und Nachrichtenunterdrückung haben früher sehr viel besser funktioniert als heute. Und so kommt auch dieser Abschnitt für mich wieder wie eine reisserische Panikmache an.
S. 212ff: Auch einmal positive Kommentare, wie Technologie Bildung helfen kann - genau!
S. 215: “… jede GPS-Abfrage eine Antwort für GPS …” ist sachlich einfach falsch: GPS ist passiv, d.h. mein GPS-Empfänger ist ein purer Empfänger. Wieder etwas, das ein dubioses Licht auf das Buch wirft.
S. 218: “Der Computer kann keinen einzigen kreativen Akt berechnen, …” - das folgt den Aussagen von Penrose, aber unterschätzt in meinen Augen die Zukunft. Bereits gibt es maschinen-kreierte Musik, die Menschen als originale Musik einschätzen und lieben (allerdings plötzlich nicht mehr, wenn man ihnen sagt, dass sie maschinell erzeugt ist …), sh. z.B. die Arbeit von David Cope, Triumph of the Cyborg Composer.
S. 221: Die Frage zum freien Willen wird hier dargestellt - und die Antwort als unerheblich eingestuft, da es im Zweifelsfall ‘eine Illusion [ist] …, die der Gesellschaft nützt, weil sie ihr Fortbestehen ermöglicht’. Dazu ist meiner Meinung nach zu sagen, dass längerfristig das Bestehen einer Gesellschaft nicht auf einer Illusion beruhen kann - das ist unstabil. Zum anderen kann man sich mit der Frage von Moral und Ethik durchaus auch unter Annahme eines Fehlens des freiem Willen auseinandersetzen. Ja, wir tun das bereits in den zahlreichen ‘Unzurechnungsfähigkeiten’ in unserem Gesetz. Sh. etwa den Artikel “The Lucretian swerve: The biological basis of human behavior and the criminal justice system.” von Anthony R Cashmore.
S. 224: So sehr ich unterstütze, dass wir “Institutionen, in denen Denken gelehrt wird und nicht [nur] Gedanken”, so traurig stimmt mich das kurz zuvor reisserisch formulierte “… muss das Verhältnis zwischen Herr und Knecht, zwischen Mensch und Maschine neu bestimt werden.” Das ist Terminator Niveau.
Insgesamt sind zu viele Aussagen reisserisch formuliert und einige der Aussagen, die ich wirklich prüfen kann, sogar falsch bzw. so aus dem Zusammenhang gerissen, dass sie in die Argumentation passen, obwohl sie es im Original-Kontext nicht tun. D.h. wer nicht mehr Details kennt, wird sich blenden lassen und Dinge als von Wissenschaftlern untermauert ansehen, obwohl sie das nicht sind - das ist sicher keine gute und fundierte Arbeit für einen Journalisten! Viele zusätzliche Kleinigkeiten (Schreibfehler, falsch geschriebene Namen (‘Bruce Sterlin[g]’) tragen auch nicht zu einem positiven Gesamteindruck bei, sondern lassen Schludrigkeit auf jeder Ebene erkennen.
Das alles trübt für mich das Buch insgesamt so sehr, dass ich auch die erwähnten Punkte zum Thema Informationsflut und Multitasking, die ich interessant, bemerkenswert und für mich relevant finde, nur mehr mit Argwohn ansehen kann - sehr schade!