Martin Suter: Der letzte Weynfeldt
Wieder ein sehr guter Suter! Spannende Geschichte mit diversen Umwendungen und einem sehr gelungenen Ende, viele
treffend beschriebene Beobachtungen aus dem Leben des 'letzten Weynfeldts' - ein sehr schönes Lesebuch!
"Das alles
hätte an einem anderen Tag auf seine Stimmung geschlagen. Nicht dass er übellaunig geworden wäre, er war viel zu
wohlerzogen, um sich seine Launen anmerken zu lassen. Aber etwas wortkarger und etwas langsamer hätte ihn diese Stimmung
schon gemacht.
Ja, langsamer. Weynfeldt hatte Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass die Zeitlupentage, wie er sie
für sich nannte, die Tage, an denen er sich vorkam wie auf Grund gelaufen, dass diese Tage für ihn das waren, was andere
Leute als Depressionen bezeichneten. Er hatte es in einem Roman entdeckt, bei der Beschreibung des Gefühlszustands der
Protagonistin. Von selbst wäre er nicht darauf gekommen. Und jemanden, mit dem er über seine Gefühle sprechen konnte,
kannte er nicht.
Aber am heutigen Tag, obwohl dieser alle Anlagen zu einem Zeitlupentag hatte, erschien ihm alles
leicht und dünnflüssig."
"Adrian wartete zwar auf Lorenas Anruf, aber dieses Warten war keine Beschäftigung, es
war ein Zustand, und gar nicht mal ein so unangenehmer. Wie Fliegen.
Sobald Weynfeldt ein Flugzeug betrat, wurde
er in diesen Zustand absoluter Passivität versetzt. Natürlich ass er, was ihm serviert wurde, und las er Zeitung oder
ein Buch. Passiv war er nur, was das Fliegen selbst betraf. Er wusste, dass er es nicht beeinflussen konnte, und
delegierte es bedingungslos an die, die es konnten."
"Das konnte Casutt: Nur mit Worten und Gesten einen Raum so
bildhaft heraufbeschwören, dass man ihn vor sich sah, sich in ihm befand und die Übergangsphase vom Ist- zum Sollzustand
nur noch als ein zu vernachlässigendes Detail betrachtete."
"Ich glaube, ich bin so etwas wie glücklich, dachte
er. Nicht dass er bisher unglücklich gewesen wäre. Aber zwischen nicht unglücklich und glücklich bestand doch ein
erheblicher Unterschied, musste er sich sagen, draussen vor der Tür wie ein bestrafter Schüler."